In unserer leistungsorientierten Gesellschaft fällt es schwer, etwas ohne Ziel und Zweck zu tun. Selbst unsere Spaziergänge sollen uns entspannen, erholen oder bewusster machen. Doch echte Naturverbindung entsteht durch Zweckfreiheit – durch die Bereitschaft, einfach zu sein, ohne etwas erreichen zu müssen.
Absichtslosigkeit zu üben ist Rebellionsarbeit gegen den inneren Antreiber. Es fühlt sich anfangs seltsam an, „sinnlos“ durch die Natur zu gehen, und Dein Geist wird protestieren: „Das bringt doch nichts!“
Doch, tut es! Denn genau dann berührst Du den Kern echter Naturerfahrung.
Wenn Du es gleich mal ausprobieren möchtest, findest Du in den Sinnes-Wandlungen alltagstaugliche Impulse für absichtslose Naturerfahrungen, die Dir zeigen, wie Du ohne Ziel zu Dir selbst findest.
Warum wir selbst beim Spazieren in der Natur etwas erreichen wollen
Gehst Du spazieren, um Dich zu entspannen?
Setzt Du Dich auf die Parkbank, um zur Ruhe zu kommen?
Atmest Du tief ein, um Stress abzubauen?
Falls ja, bist Du in bester Gesellschaft – und gefangen in einem Muster, das tiefer geht, als Du vielleicht denkst.
All diese Aktivitäten sind an sich nicht verkehrt. Doch auch sie werden schnell zu einem „Ich müsste mal wieder …“, weil wir darauf programmiert sind, von jeder Aktivität einen messbaren Nutzen zu erwarten. Selbst unsere Pausen müssen produktiv sein. Diese Haltung überträgt sich automatisch auf unsere Zeit in der Natur.
Das Problem: Sobald Du mit einer Absicht in die Natur gehst, bist Du nicht mehr wirklich frei. Du prüfst unbewusst, ob sich eine gewünschte Wirkung einstellt. Du bewertest, ob es „funktioniert“. Du machst Deine Naturerfahrung abhängig von einem Ergebnis. Und dann muss selbst Nichtstun etwas bewirken.
Echte Naturverbindung entsteht aber nicht durch Zielerreichung. Sie entsteht durch Absichtslosigkeit.
Absichtslos spazieren gehen bedeutet: es um seiner selbst willen tun
Absichtslos zu sein heißt nicht, planlos oder gleichgültig zu sein. Es bedeutet, etwas um seiner selbst willen zu tun.
Du wandelst, weil Du wandelst.
Du schaust in den Himmel, weil Du in den Himmel schaust.
Du berührst die Baumrinde, weil Du sie berühren möchtest.
Keine Entspannung als Ziel. Keine Erholung als Plan. Keine Selbstfindung als Projekt.
Das klingt einfach, ist aber eine schwierige Haltung, die Übung benötigt. Dein Geist wird protestieren. „Das ist doch sinnlos!“, wird er sagen. „Verschwendete Zeit.“ „Was soll das bringen?“
Wenn Du Dich, oder genauer gesagt Deine Gedanken in diesen Aussagen wiederfindest, zeigen Dir diese inneren Stimmen, wie tief das allgegenwärtige Leistungsdenken auch in Dir verankert ist. Dass Du Dich erst einmal unwohl fühlst beim „Nichtstun“, ist vollkommen normal. Wenn es bei Deinem Naturspaziergang auftaucht, ist es sogar ein gutes Zeichen, denn es bedeutet, dass Du den Kern der Absichtslosigkeit berührst.
Warum Dein Geist gegen Absichtslosigkeit rebelliert
Unser Gehirn ist darauf ausgelegt, Probleme zu lösen und Ziele zu verfolgen. Absichtslosigkeit fühlt sich für den Verstand wie Leerlauf an – und Leerlauf bedeutet aus evolutionärer Sicht Gefahr. Also produziert er Unruhe, Langeweile, das Gefühl, etwas Wichtigeres erledigen zu müssen.
Dazu kommt die gesellschaftliche Konditionierung: Zeit ist Geld. Effizienz ist König. Wer nichts leistet, ist nichts wert. Diese Botschaften sind so tief in uns eingeprägt, dass wir sie selbst in der Natur nicht ohne Weiteres abschalten können.
Absichtslosigkeit zu üben, ist deshalb echte Rebellionsarbeit. Du widerstehst Deinem inneren Antreiber. Du sagst „Nein“ zur permanenten Optimierung. Du erlaubst Dir, einfach zu sein. Und das kann von anderen kritisch beobachtet werden. Eine weitere Schwierigkeit, die es zu überwinden gilt.
Wie Du den Einstieg ins bewusste Spazierengehen findest
Beginne klein und erwarte nichts. Nimm Dir vor, fünf Minuten „sinnlos“ in der Natur zu verbringen. Ohne Plan, ohne Hoffnung auf Entspannung, ohne das Bedürfnis, etwas daraus zu lernen. Wenn es keine fünf Minuten werden, egal, dann eben zwei oder drei.
Setze Dich auf eine Bank und schaue, was Du siehst. Nicht um schöne Eindrücke zu sammeln, sondern einfach nur um zu schauen. Flaniere durch den Garten und nimm wahr, was da ist. Nicht um bewusster zu werden, sondern nur um wahrzunehmen. Geh in den Wald und lausche dem Vogelkonzert. Nicht um herauszuhören, welcher Vogel da singt, sondern um einfach nur den Stimmen aus den unterschiedlichen Richtungen zu folgen.
Wenn sich das anfangs seltsam für Dich anfühlt, kein Grund zur Sorge. Nimm Dir die Natur als Vorbild: Sie wertet nicht und sie ist einfach, wie sie ist. Wolken ziehen auch nicht, um an einem anderen Ort anzukommen. Sie ziehen einfach.
Was beim absichtslosen Gehen geschieht (oder auch nicht) – kleine Naturmomente mit Freiraum
Vielleicht entspannst Du Dich.
Vielleicht findest Du zur Ruhe.
Vielleicht entwickelst Du eine tiefere Verbindung zur Natur und zu Dir selbst.
Das sind wunderbare Effekte – aber sie sollten nicht Dein Ziel sein.
Es kann auch sein, dass nichts Besonderes passiert, dass Du Dich langweilst oder unzufrieden fühlst. Auch das ist wertvoll. Es zeigt Dir, wie abhängig Du von äußeren Stimuli und inneren Zielen geworden bist.
Absichtslosigkeit ist ein Paradox: Sie wirkt gerade dann am stärksten, wenn Du sie nicht als Mittel zum Zweck einsetzt. Sie schenkt Dir Freiraum, aber nur, wenn Du sie nicht als Werkzeug zur Befreiung benutzt.
Eine Einladung zu experimentieren – spazieren gehen ohne Ziel
Beim nächsten Spaziergang probiere es aus: Gehe ohne Grund. Nicht um Dich zu bewegen, nicht um frische Luft zu bekommen, nicht um einen klaren Kopf zu bekommen. Gehe, weil Du gehst.
Lass Deinen Blick schweifen, ohne nach etwas Bestimmtem zu suchen. Höre die Geräusche, ohne sie einordnen zu wollen. Spüre den Wind, ohne Dich entspannen zu müssen.
Es wird sich möglicherweise wie etwas anfühlen, das Du Dir nicht leisten kannst. Doch manchmal ist das scheinbar Sinnlose das Sinnvollste, was Du tun kannst. Denn dann führt der Weg ohne Ziel genau dorthin, wo Du sein willst: zu Dir selbst zurück.
Sei gegrüßt,
Deine
FRAU BÖRD
P.S.: Wenn Du Lust bekommen hast, Absichtslosigkeit in der Natur konkret zu üben, schau Dir meine Sinnes-Wandlungen an – kleine Impulse, die Dir zeigen, wie Du ohne Ziel und Zweck zu echten Naturmomenten findest.

